Termin Samstag 8. Oktober 2022, 17:00 Uhr
Eröffnung Wilhelm Klotzek. Palais-Palais!
Begrüßung: Dr. Aline Lukaszewitz, Vorstandsvorsitzende
Einführung: Imke Kannegießer, Künstlerische Leitung
Begrüßung: Dr. Aline Lukaszewitz, Vorstandsvorsitzende
Einführung: Imke Kannegießer, Künstlerische Leitung
Dialogische Führung & Lesung mit Wilhelm Klotzek
Für manche lässt sich die Stadt als Körper begreifen. Ein Leib, auf dessen Haut sich das Geschehen abspielt und auf dessen Gesicht sich ihr Zustand ablesen lässt.¹ War die Nacht zu lang oder der Tag zu kurz? Müssen die brachliegenden Flächen etwas Neuem weichen? In den Rhythmus aus Stahlstreben, Marmorblöcken, Glasfassaden und unverputzten Wänden reihen sich öffentliche Skulpturen, die sich wie Bäume in den Himmel strecken, während auch die Ereignisse, die zwischen Architektur, Skulptur und Natur stattfinden, das urbane Gesicht stets verändern.
In seiner Einzelausstellung im Kunstverein Reutlingen nähert sich Wilhelm Klotzek auf verschiedene Weise diesem städtischen Körper und kommt dabei unter anderem der Artikulation Berlins auf die Spur. Es ist die Stadt, in der er aufwuchs und an deren Oberfläche die politisch-historischen Umstürze auch heute noch so deutlich in Erscheinung treten. In Form bildnerischer Assoziationsketten leiten uns Klotzeks fotografische Collagen durch seine aktuelle Ausstellung und durch Berlins Gesicht der 1990er Jahre. Neben abgesperrten brachliegenden Flächen, U-Bahn-Schächten, gähnenden Wänden und heruntergelassenen Blechrollläden, deuten die Abzüge jedoch vor allem auf den umherstreifenden Jugendlichen, der sich durch sein Gehen und Beobachten der Stadt annähert und sie damit lesbar werden lässt. Bereits der Soziologe Michel de Certeau konstatierte über das Alltags-leben, dass der „Akt des Gehens für das urbane System das [ist], was die Äußerung (der Sprechakt) für die Sprache […] ist.“² Nicht zuletzt deshalb liegen in Klotzeks künstlerischer Praxis die Sprache und die städtische Verdichtung durch architektonische Fragmente so nah beieinander.
Anekdotisch gibt Klotzek in seinen Sprechfilmen den Städten mit ihren kulturellen Bauten und Ereignissen eine Stimme. Im Film Dosen und Echtholzblenden (2022) ist es vor allem die Begegnung mit Skulpturen eines anderen Bildhauers, die den Fokus auf die beiläufigen Überbleibsel der Stadt verlagern. Immer wieder bleibt das Auge an den Absperrbändern, den Verblendungen, entkernten Häusern oder Baustellen hängen, die sich aus Klotzeks Erzählung auf den im Film eingestellten Fotografien niederlassen. Der Film Bonn, Beuel, Tannenbusch, Henry Moore und ich (2020) zeigt Standbilder einer Zugfahrt von Berlin nach Bonn. Sie teilen die flüchtig erhaschten Architekturen und die Gedanken Klotzeks in seiner Erwartung und Begegnung mit der Stadt Bonn – eine Stadt, wie er beschreibt, „auf der anderen Seite, in einem anderen Land; das Westland, da wo die Westler wohnen“.³
Klotzeks Nähe zur Literatur und Sprache lässt sich jedoch auch in seinen grafischen Arbeiten wiederfinden. Als visuelle Poesie thematisieren die Emaille-Schilder unter anderem das Nischendasein der 12. Briefmarkenausstellung (2018) oder verhinderte Freundschaften in Großes Bürgerfest (2018). Die Siebdruckposter Watton (2019) oder Schminke der Freundschaft (2018) gründen auf Fantasie, oftmals jedoch mit Referenzen zur Realität und so sind es primär fiktive Ereignisse, die sich in seinem städtischen Raum abspielen. Klotzek verbindet, wie der situationistischen Praxis dérive der 1960er Jahre gleich, im Umherwandern verschiedene Momente der Stadt, die zum Teil vom Verfall bis hin zum Wandel und der Möglichkeit von Neuem sprechen.
Für den Körper der Stadt ist das Neue jedoch stets eine Debatte für sich. Da sind Skulpturen und Bauten im öffentlichen Raum, die das Konkurrieren während des Kalten Kriegs wiedergeben und referenziell in Klotzeks Arbeiten hier und da auftauchen. Das Motiv der Liegenden beispielsweise lässt sich im ehemaligen Osten als auch Westen Berlins finden, wobei sie Vorbeiziehende zum Verweilen einlädt. An Wieland Försters Große Liegende (1965), eine kubische Bronzedarstellung einer nackten Frau vor dem Edeka unweit des Ostbahnhofs, warten die Einen am Fuße des Sockels, rauchen die Anderen anlehnend eine Zigarette oder unterhalten sich. Doch auch jüngste architektonische Ereignisse greift Klotzek in seiner modellhaften Skulptur Humboldt Forum Mitarbeitereingang (2020) auf. Die Miniatur des unprätentiösen Mitarbeitereingangs nebst bereits bröckelnder Fassade verdreht einmal mehr die Verhältnisse, bietet dem Peripheren eine Bühne und wird so zum kritischen Kommentar einer über die Grenzen Berlins geführten Kontroverse zu heutigen Repräsentationsbauten. Folglich lässt sich auch der Titel der Ausstellung Palais-Palais! als ein ständiges infrage stellen von Wertverhältnissen lesen. Wie ein reißerischer Ausruf fragt er: Was gilt eigentlich als repräsentativ?
Hintereingänge, Buchläden oder Imbisse fallen wie Fragmente aus Klotzeks Erzählung zur Stadt. Sie deuten ihre Räumlichkeit an und treten doch als Fassade, Relief oder Blechcollagen auf. Während sich zunächst der funktionale Teil einer Architektur erkennen lässt, verweisen die Skulpturen im Gegenzug auf ihr formales und minimalistisches Interesse. Die Rückseite weist stets eine Anordnung aus den Materialien Glas und Stahl auf und stellt damit die Modellartigkeit der Skulpturen zur Schau. Anstelle von utopischen Entwürfen verkörpern Klotzeks Modelle jedoch das Unterrepräsentierte, wie eben genannte Hintereingänge oder geschlossene Blechrollläden.
Dabei sind Klotzeks Skulpturen keine originalgetreuen Kopien einer konkreten Vorlage, vielmehr sind es immer Ballungen und Vermischungen verschiedener architektonischer Einflüsse, ähnlich wie es auch das Künstlerduo Fischli & Weiss in der Arbeit Haus (1987) praktizierte – die Miniatur-Nachbildung eines Gewerbehauses. Klotzeks Arbeit O.T. (Bücher Ecke) (2022) scheint den schlichten, glatten Fassaden eines Buchladens moderner Architektur entglitten, doch irritiert der Vorsprung unterhalb des Schaufensters, der eher an die Gebäude der Gründerzeit erinnert. Neben ihrer doppel-deutigen formalen Sprache spielt die Skulptur außerdem auf den Blick ins Schaufenster an, während die Buchtitel in Klotzeks imaginierter Bibliothek den gängigen Jargon des Kunstbetriebs einfangen und mit Titeln wie Einheitsbrei: Sculpture from the East ironisch auf die Spitze treiben. Wird die Skulptur zur Kulisse oder Attrappe? Wie ist ihr Verhältnis zur Wirklichkeit? Die Bürgersteigdecken imitieren die Gehwege, auf denen die Fußgänger:innen ihren urbanen Text schreiben und die Besucher:innen eingeladen sind, herum zu lungern, um den filmischen Äußerungen Klotzeks zu lauschen. Auch die Serie der Imbiss-Arbeiten spielt auf die vorbeiziehenden Passanten an, die am Tresen ihre Wurst essen, auf ihren Kaffee warten oder nachts nach Hause huschen, wenn die Stadt ihre Augen schließt.
Es sind die Erinnerungen und Beobachtungen des Wandels, die der Materialität und der Sprache Klotzeks künstlerischer Praxis anhaften – Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend, die sich unbewusst im Stahl, Glas und farbigen Flächen manifestieren, aber auch seine Kommentare auf gegenwärtige urbane Phänomene. In assoziativen Happen folgt die Ausstellung einer Spur des Städtischen, wirft dabei Wertverhältnisse und Repräsentationsmuster um und sucht so den fransigen Körper der Stadt abzustecken. Sind es nicht gerade die bruchstückhaften Verkettungen, die den Text der Stadt stets umschreiben und dabei ihr Gesicht mit all den Ereignissen und Bauten immer wieder aufs Neue formen?
Text von Elisa Maria Schmitt
¹Vgl. Jürgen Hasse, Der Leib der Stadt. Phänomenographische Annäherungen, 2015.
²Michel de Certeau, Kunst des Handelns, 1988, S. 189.
³Wilhelm Klotzek, Bonn, Beuel, Tannenbusch, Henry Moore und ich, 2008-2022, 6.20 Min.
Wilhelm Klotzek (*1980, Ost-Berlin) lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte Bildende Kunst und Skulptur an der Kunst-hochschule Weissensee (2006–2012) und der UDK Berlin (Klasse Lothar Baumgarten, 2009–2012). Klotzek arbeitet in den unterschiedlichsten künstlerischen Medien (v. a. Skulptur, Video, Performance). Seine Werke wurden in zahl-reichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland gezeigt u. a. Chains of Interest, ifa Gallery Berlin, Berlin, 2022, Das Erscheinen eines Jeden in der Menge, Schloss Bellevue, Berlin, 2021, Katzen und Architektur, Klosterfelde Edition, Berlin, 2020 (solo), Das architektonische Trio, Galerie Tobias Naehring, Berlin, 2020 (solo), Szene Berlin, Schloss Derneburg, Hall Art Foundation, Derneburg, 2020, Haltung und Fall, Museum Martha Herford, Herford (Kat.), The Language of Things, 21er Haus, Wien, 2016 (Kat.), Wilhelm Klotzek: Durex Duplo Resterampe, Heidelberger Kunstverein, 2015 (solo).
Die Ausstellung wird großzügig gefördert von: