07.11.2021
Vera Kox ...into deliquescence
7. November 2021 bis 23. Januar 2022
In ihrer skulpturalen Praxis setzt sich Vera Kox mit den direkten und indirekten Auswirkungen des modernen menschengemachten Zeitalters auseinander. Durch die Verwendung unkonventioneller Techniken und Materialien werden unterschiedliche Auffassungen zur Ökologie, insbesondere mit Blick auf die Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt, begreifbar und sinnlich erfahrbar gemacht.
Die australische Kultur- und Gendertheoretikerin Astrida Neimanis hat den Begriff des „Hydrofeminismus“ geprägt, der uns einlädt, Wasser – mit seiner Symbolkraft, seiner Vertrautheit und seinen einzigartigen physikalischen und chemischen Eigenschaften – als Substanz zu begreifen, welche ‘unsere Körper als fundamentalen Teil der natürlichen Welt versteht und nicht von ihr getrennt oder privilegiert ist“. Ein Großteil unserer Körpersubstanz besteht aus Wasser; Wasser ist Seinsform und verbindendes Medium zugleich.
Für ihre erste großformatige Einzelausstellung in einem institutionellen Kontext greift Kox das Konzept der Deliqueszenz (engl. „deliquescence“) auf. Hierbei handelt es sich um einen Prozess, bei dem feste Materie umgebende Luftfeuchte bis hin zur Auflösung absorbiert und zerschmilzt. Mit spielerischen Materialexperimenten und raumgreifenden Installationen setzt die Künstlerin diese Idee der Vereinigung von Materie/Körper und Umwelt um und verwischt dabei die Grenzen zwischen Innen und Außen, um ein wechselwirkendes Ganzes entstehen zu lassen. Dabei befasst sie sich gleichermaßen mit dem Eigenleben des verwendeten Materials wie mit dessen sozialen und ökologischen Zuschreibungen und nähert sich der Vorstellung des so genannten „Symbiozäns“ an – ein Begriff aus der aktuellen ökologischen Forschung, der die Gegenseitigkeit und Verwebung von Materialien, Objekten, Menschen und Umwelt bezeichnet.
In der speziell zu diesem Anlass entwickelten Werkserie … into deliquescence werden geschichtete Keramikelemente mit teils ungewöhnlichen Techniken oder Materialien kombiniert: mal gepaart mit mundgeblasenem Glas, mal versehen mit aufschäumender Glasur oder übergossen mit flüssigem Aluminium, erstarrt im Moment des Fließens. Überdimensionale Tropfen und Flüssigkeiten scheinen aus den schweren, organisch anmutenden Körpern zu sickern. Auf gesprenkelten Gummimatten oder pastellfarbenen Dämmplatten ruhend, fächern die sich überlappenden, fein texturierten Körper ein weites Spektrum an Assoziationen auf: von Vulkanausbrüchen und geschmolzenem Speiseeis bis hin zu Reptilienhaut deuten sie ein Artenreiches Universum an, in dem ungewöhnliche Kräfte wirken.
Die kompositorische Strenge der Gesamtpräsentation und die minimalistische Formensprache der einzelnen Werke entfalten darüber hinaus eine verbindende Sinnlichkeit, die physikalische Zuschreibungen ad absurdum führt: Weiches stellt sich als hart heraus, was klebrig erscheint, ist fest erstarrt, was feucht und kalt wirkt, ist trocken und warm. In den raumübergreifenden Installationen der Künstlerin werden die unterschiedlichen, der Konsumwelt entstammenden Materialien gegenläufig zu ihren intendierten Eigenschaften eingesetzt: Roh- und Baustoffe wie Aluminium und Gips, aber auch industriell hergestellte Halbfertigprodukte wie Ketten wirken hier wie ein natürlicher Lebensraum für rätselhafte Organismen.
Indem sie Materialien aus unserer Lebenswelt mit ihren intrinsischen Eigenschaften, Bedingungen und Konnotationen untersucht und die Wechselbeziehungen zwischen Objekten und Ökosystemen aufzeigt, offenbart die Künstlerin eine Welt sich ständig wiederholender Zyklen und Metamorphosen.
Vera Kox hat in zahlreichen Kunstzentren und Galerien ausgestellt, darunter dem KINDL — Centre for Contemporary Art in Berlin, dem Musée régional d’art contempopain Occitanie / Pyrénées-Méditerranée in Sérignan, dem Mudam Luxembourg und dem Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain in Luxemburg, dem Palais d’Iéna in Paris, sowie in der Galerie Ribot arte contemporanea in Mailand, der Galerie 22,48 m2 in Paris, der Galerie Exgirlfriend in Berlin und der Galerie Opdahl in Stavanger. 2013 nahm sie am Internationalen Atelierprogramm des Künstlerhauses Bethanien Berlin teil. 2020 war sie Stipendiatin der Cité Internationale des Arts in Paris.
Die Ausstellung wird gefördert durch den Fonds Culturel National Luxembourg (FOCUNA) und das Kulturministerium des Großherzogtums Luxemburg sowie durch die Baden-Württemberg Stiftung. Die Künstlerin erhielt zudem ein Arbeitsstipendium Neustart Kultur der Stiftung Kunstfonds.